Traumberuf Brillendesigner

Manchmal passiert es Harald Heinrich, dass er die Menschen in seiner Umgebung irritiert. Wenn er nicht aufpasst und seinem Gegenüber etwas zu lange oder zu tief in die Augen sieht, fühlen sich die Leute von ihm arg beobachtet.

Dabei ist sein Interesse rein beruflicher Natur und gilt ganz allein der Brille. Vor allem dann, wenn er diese selbst gestaltet hat und nun am lebenden Objekt sieht, welche Zielgruppe seine „Crush“, Modell 3531 spazieren trägt

Als der Industriedesigner dieses Modell entwarf, hatte er vor seinem geistigen Auge junge Männer, vielleicht Anfang 20, die mit einer an der Front zeitgemäß leicht ge-wölbten Brille mit sportlichen Anklängen durchs Leben gehen möchten. Aufgrund des jugendlichen Charakters gibt es neben der Erwachsenenversion mit 50 Millimeter Scheibenbreite eine Teenagerausgabe, bei der die Scheibe zwei Millimeter schmaler blieb.

Foto: KGS. Brille(n): Cerruti

Foto: KGS. Brille(n): Neostyle

Immer häufiger begegnet Heinrich seiner Brille aber an 40-Jährigen.

„Mit meiner Einschätzung lag ich scheinbar um 20 Jahre daneben, aber wirtschaftlich ist das Modell sehr erfolgreich“, freut sich Harald Heinrich. Überhaupt würden, so Heinrich, Brillen zunehmend weniger auf Altersgruppen zugeschnitten:

Es gibt heute viele jung gebliebene Alte. Aber genauso gibt es konservative Junge, also Menschen, die mit 25 ein klassisches Modell in mattiertem Metall bevorzugen.“ Deshalb orientieren sich die rund drei Dutzend Brillendesigner in Deutschland, mehr sind es wohl nicht, an Begriffen wie „zeitgemäß“, „klassisch,„modisch“, „anspruchsvoll“, „günstig“ oder „wertig“, wenn sie mit dem Produktmanagement über neue Kollektionen reden.


Für diese gibt es drei so genannten Anlauftermine:

Jeweils im Januar, April und August präsentieren die Hersteller neue Brillenkollektionen. Jede Kollektion hat zumeist mehrere Familienmitglieder.

Harald Heinrich bringt es deshalb in harten Jahren auf bis zu 200 Brillenmodelle, die er entwirft und die von seinem Arbeitgeber Eschenbach auch realisiert werden.

In normalen Jahren sind es immer noch 100 bis 150 Modelle, die seine Handschrift tragen. Die Zahl der Entwürfe liegt weit darüber. Zwar weiß Heinrich als langjähriger Profi, worauf es beim Design einer gelungenen Brille ankommt.

Unter den zahlreichen Variationen eines Entwurfs aber den Besten zu wählen, ist die Aufgabe des Produktmanagements.

Die Entwicklung einer neuen Brille beginnt mit intensiven Gesprächen zwischen dem Vertrieb, dem Produktmarketing und dem Design. Diese kreisen um Zielgruppendefinitionen, um technische Vorgaben und Besonderheiten. „Der Vertrieb will dabei zuerst den aktuellen Trend fortsetzen und möglichst wenig Risiken eingehen. Dann aber würden Brillen immer gleich aussehen. Deshalb versucht das Design, neue Wege zu gehen“, beschreibt Harald Heinrich die verschiedenen Positionen der Unterredungen.

Bei manchen Brillenherstellern münden diese in telefonbuchdicke Briefingmappen, die der Designer in sein Büro oder Home-Office schleppen und durcharbeiten darf. Bei Eschenbach, dem Arbeitgeber von Harald Heinrich, geht es pragmatischer zu. Es genügt, wenn Heinrich die Anforderungsprofile der neuen Brillen gemeinsam mit den Produktmanagern mündlich durchgeht. Dann heißt es kreativ werden und Ideen zu entwickeln. Das ist die eigentliche Hauptarbeit.

Am Anfang und am Ende steht der Spiegel

Manchmal entsteht aus einer spontanen Idee in wenigen Minuten ein kompletter Entwurf, manchmal dauert es Tage, eine neue Brille zu entwerfen. Gleich wie lange es dauert: Alle Brillendesigner gehen nach demselben Muster vor.

Selbst im Computerzeitalter genügen Bleistift und Geodreieck, um die Rohform einer Brille zu entwickeln. Designer zeichnen immer nur eine Hälfte der Frontansicht, für die zweite Hälfte wird ein Spiegel auf die Achse gestellt. Wird dieser Entwurf als gelungen akzeptiert, scannt Heinrich die Zeichnung ein und arbeitet am Computer weiter.

Dafür nutze ich keine Spezialsoftware, sondern ein einfaches 2D-Grafikprogramm. Das Programm darf mich nicht von der eigentlichen Entwurfsarbeit ablenken, sondern muss so einfach zu bedienen sein wie ein Bleistift“, so Heinrich.

Bügel und Frontansicht sind in wenigen Minuten fertig. Für das Brillendesign hat das Grafikprogramm den weiteren Vorteil, dass aus dem Zeichenprogramm gleich Fertigungsdaten für den Prototypen-bau exportiert werden können. Gefällt der Entwurf den Produktmanagern und passen Produkt und Marke gut zusammen, wird eben ein solcher Prototyp angefertigt.

Übersteht dieser abermals die Kritik der Produktmanager und Produktionsplaner, die nunmehr ein Auge darauf haben, ob sich die Brille in der Serienfertigung im vorgesehenen Preisrahmen herstellen lässt, steht einer Markteinführung nichts mehr im Wege.

Ein halbes Jahr bis ein Jahr nach der ersten Zeichnung kommt die neue Brille in den Optikerladen. Dort muss sie zu guter Letzt die Käufer im Spiegelbild überzeugen.

Markentreue

Am allerwichtigsten ist dem Kunden bei seiner Entscheidung die Farbe, dann folgen Form und Material als nachgeordnete Kriterien. Ebenso wichtig ist die Passform, also das angenehme Tragegefühl beim ersten Aufprobieren. Der Preis schwingt in allen Phasen der Entscheidung mit. „Nur zwei, drei, vier Prozent der Brillen werden ausschließlich wegen ihrer Marke gekauft“, schätzt Heinrich. „Und es sind nur sehr wenige Luxusmarken wie Gucci und Prada, die in der Brillenmode so viel Begehrlichkeiten wecken, dass Kundinnen gern zu diesen Markenbrillen greifen.

Sind die anderen Brillenmarken demnach überflüssig? Heinrich verneint eindeutig: „Eine Marke bestätigt den Kunden in seiner individuellen Kaufentscheidung, ist aber nicht primär ausschlaggebend.“ Außerdem, so Heinrich weiter, würde die Marke unterschwellig wirken.

„Nehmen wir Zielgruppen wie leitende Angestellte oder Selbstständige, die oft gar nicht markenfixiert sind. Dennoch landen diese beim Augenoptiker zielsicher bei einer sehr schmalen Auswahl ganz bestimmter Marken. Dasselbe funktioniert bei vielen anderen Zielgruppen auch, wenn es uns Designern gelingt, die Wünsche der Kunden richtig zu interpretieren.

Die Brille von Felix Magath

Bei Eschenbach ist Harald Heinrich zuständig für kühle und sachliche Brillenlinien aus Titan und dem praktisch „unkaputtbaren“ Werkstoff Titanflex. Zusätzlich verleiht er neuen Kinderbrillen Form und behandelt vergleichsweise leise Modethemen. Die lauten vermisst er nicht:

Es wäre kinderleicht, eine krachend signalgelbe Brille zu entwerfen mit fünf Zentimeter breiten Bügeln. So etwas male ich in fünf Minuten hin. Für mich aber ist es eine viel größere gestalterische Herausforderung, mit dezenten Designmitteln immer wieder neue, modisch interessante Brillen zu entwerfen.“ Besonders stolz macht den Designer die Brille von Felix Magath, die „kleine Gefräste“, die Heinrichs Handschrift trägt. Der Bayern-Trainer trug als Brillenträger des Jahres 2005 ein Modell von Harald Heinrich. Für den Designer ist diese Auszeichnung aber kein Grund, sich in Star-Allüren zu verlieren oder gar selbst ins Rampenlicht zu treten: „Die Brille war ein prima Job und entstand in einer produktiven Phase. Für mich ist es einfach angenehm, einen Beruf zu haben, in dem ich ästhetisch gelungene Objekte gestalten darf. Wenn meine Brillen auch Prominenten gefallen – umso besser. Meine Arbeit mache ich aber nicht mit einer Berühmtheit vor Augen, sondern für ganz normale Leute, die Spaß an schönen Dingen haben.“

Das Wichtigste in Kürze

•In Deutschland gibt es rund drei Dutzend Brillendesigner

•Harald Heinrich entwirft für die Firma Eschenbach pro Jahr bis zu 200 Brillenmodelle

•Zum Entwurf genügen Bleistift und Geodreieck, um die Rohform einer Brille zu entwickeln – und diese auch nur zur Hälfte. Für die zweite Hälfte wird ein Spiegel auf die Achse gestellt

•Nur wenige Prozent der Brillen werden ausschließlich wegen ihrer Marke gekauft – und dann auch nur Luxusmarken wie Gucci und Prada



 
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